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Theodor W. Adorno

manfred herok ©2000-14

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Die Weite seines Gewissens wetteiferte mit der Güte seines Herzens

< ...        der gütige Verblichene sei gewissenlos gewesen,
expediert den Leichenzug auf dem kürzesten Weg ins Land der Wahrheit.
Wenn von einem Menschen vorgeschrittenen Alters gerühmt wird,
er sei besonders abgeklärt, so ist anzunehmen, daß sein Leben eine Folge von Schandtaten darstellt. Aufregung hat er sich abgewöhnt.
Das weite Gewissen installiert sich als Weitherzigkeit, die alles verzeiht,
weil sie es gar zu gründlich versteht. Zwischen der eigenen Schuld und der der anderen tritt ein quid pro quo ein, das zugunsten dessen aufgelöst wird, der das bessere Teil davontrug.
Nach einem so langen Leben weiß man schon gar nicht mehr zu unterscheiden,
wer wem was angetan hat. In der abstrakten Vorstellung des universalen Unrechts geht jede konkrete Verantwortung unter.
Der Schuft wendet sie so, als ob es gerade ihm widerfahren wäre:
wenn Sie wüßten, junger Mann, wie das Leben ist.
Die aber schon mitten in jenem Leben durch besondere Güte sich auszeichnen,
sind meist die, welche einen Vorschußwechsel auf solche Abgeklärtheit ziehen.
Wer nicht böse ist, lebt nicht abgeklärt, sondern in einer besonderen, schamhaften Weise verhärtet und unduldsam.
Aus Mangel an geeigneten Objekten weiß er seiner Liebe kaum anders Ausdruck zu verleihen als im Haß gegen die ungeeigneten, durch den er freilich wiederum dem Verhaßten sich angleicht.
Der Bürger aber ist tolerant. Seine Liebe zu den Leuten, wie sie sind, entspringt dem Haß gegen den richtigen Menschen.

5

Herr Doktor, das ist schön von Euch. - Es gibt nichts Harmloses mehr.
Die kleinen Freuden, die Äußerungen des Lebens, die von der Verantwortung des Gedankens ausgenommen scheinen, haben nicht nur ein Moment der trotzigen Albernheit, des hartherzigen sich blind Machens, sondern treten unmittelbar in den Dienst ihres äußersten Gegensatzes.
Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; noch das unschuldige
Wie schön wird zur Ausrede für die Schmach des Daseins, das anders ist,
und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewußtsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält. Mißtrauen ist geraten gegenüber allem Unbefangenen, Legeren, gegenüber allem sich Gehenlassen, das Nachgiebigkeit gegen die Übermacht des Existierenden einschließt.
Der böse Hintersinn des Behagens, der früher einmal auf das Prosit der Gemütlichkeit beschränkt war, hat längst freundlichere Regungen ergriffen.
Das Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn, dem man, damit es nicht zu einem Streit kommt, auf ein paar Sätze zustimmt, von denen man weiß,
daß sie schließlich auf den Mord hinauslaufen müssen, ist schon ein Stück Verrat; kein Gedanke ist immun gegen seine Kommunikation, und es genügt bereits,
ihn an falscher Stelle und in falschem Einverständnis zu sagen, um seine Wahrheit zu unterhöhlen.
Aus jedem Besuch des Kinos komme ich bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter wieder heraus. Umgänglichkeit selber ist Teilhabe am Unrecht, indem sie die erkaltete Welt als eine vorspiegelt, in der man noch miteinander reden kann, und das lose, gesellige Wort trägt bei, das Schweigen zu perpetuieren, indem durch die Konzessionen an den Angeredeten dieser im Redenden nochmals erniedrigt wird.
Das böse Prinzip, das in der Leutseligkeit immer schon gesteckt hat,
entfaltet sich im egalitären Geist zu seiner ganzen Bestialität.
Herablassung und sich nicht besser Dünken sind das Gleiche.
Durch die Anpassung an die Schwäche der Unterdrückten bestätigt man in solcher Schwäche die Voraussetzung der Herrschaft und entwickelt selber das Maß an Grobheit, Dumpfheit und Gewalttätigkeit, dessen man zur Ausübung der Herrschaft bedarf. Wenn dabei, in der jüngsten Phase,
der Gestus der Herablassung entfällt und Angleichung allein sichtbar wird,
so setzt gerade in solcher vollkommenen Abblendung der Macht das verleugnete Klassenverhältnis um so unversöhnlicher sich durch.
Für den Intellektuellen ist unverbrüchliche Einsamkeit die einzige Gestalt,
in der er Solidarität etwa noch zu bewähren vermag.
Alles Mitmachen, alle Menschlichkeit von Umgang und Teilhabe ist bloße Maske fürs stillschweigende Akzeptieren des Unmenschlichen.
Einig sein soll man mit dem Leiden der Menschen:
der kleinste Schritt zu ihren Freuden hin ist einer zur Verhärtung des Leidens.

6

Antithese. - Für den, der nicht mitmacht, besteht die Gefahr,
daß er sich für besser hält als die andern und seine Kritik der Gesellschaft mißbraucht als Ideologie für sein privates Interesse.
Während er danach tastet, die eigene Existenz zum hinfälligen Bilde einer richtigen zu machen, sollte er dieser Hinfälligkeit eingedenk bleiben und wissen, wie wenig das Bild das richtige Leben ersetzt.
Solchem Eingedenken aber widerstrebt die Schwerkraft des Bürgerlichen in ihm selber. Der Distanzierte bleibt so verstrickt wie der Betriebsame; vor diesem hat er nichts voraus als die Einsicht in seine Verstricktheit und das Glück der winzigen Freiheit, die im Erkennen als solchem liegt.
Die eigene Distanz vom Betrieb ist ein Luxus, den einzig der Betrieb abwirft.
Darum trägt gerade jede Regung des sich Entziehens Züge des Negierten.
Die Kälte, die sie entwickeln muß, ist von der bürgerlichen nicht zu unterscheiden. Auch wo es protestiert, versteckt sich im monadologischen Prinzip das herrschende Allgemeine.
Die Beobachtung Prousts, daß die Photographien der Großväter eines Herzogs und eines Juden aus dem Mittelstand einander so ähnlich sehen,
daß keiner mehr an die soziale Rangordnung denkt, trifft einen weit umfassenderen Sachverhalt: objektiv verschwinden hinter der Einheit der Epoche alle jene Differenzen, die das Glück, ja die moralische Substanz der individuellen Existenz ausmachen.
Wir stellen den Verfall der Bildung fest, und doch ist unsere Prosa,
gemessen an der Jacob Grimms oder Bachofens, der Kulturindustrie in Wendungen ähnlich, von denen wir nichts ahnen.
Überdies können auch wir längst nicht mehr Latein und Griechisch wie Wolf oder Kirchhoff.
Wir deuten auf den Übergang der Zivilisation in den Analphabetismus und verlernen es selber, Briefe zu schreiben oder einen Text von Jean Paul zu lesen, wie er zu seiner Zeit muß gelesen worden sein.
Es graut uns vor der Verrohung des Lebens, aber die Absenz einer jeden objektiv verbindlichen Sitte zwingt uns auf Schritt und Tritt zu Verhaltensweisen, Reden und Berechnungen, die nach dem Maß des Humanen barbarisch und selbst nach dem bedenklichen der guten Gesellschaft taktlos sind.
Mit der Auflösung des Liberalismus ist das eigentlich bürgerliche Prinzip,
das der Konkurrenz, nicht überwunden, sondern aus der Objektivität des gesellschaftlichen Prozesses in die Beschaffenheit der sich stoßenden und drängenden Atome, gleichsam in die Anthropologie übergegangen.
Die Unterwerfung des Lebens unter den Produktionsprozeß zwingt erniedrigend einem jeglichen etwas von der Isolierung und Einsamkeit auf,
die wir für die Sache unserer überlegenen Wahl zu halten versucht sind.
Es ist ein so altes Bestandstück der bürgerlichen Ideologie,
daß jeder Einzelne in seinem partikularen Interesse sich besser dünkt als alle anderen, wie daß er die anderen als Gemeinschaft aller Kunden für höher schätzt als sich selber. Seitdem die alte Bürgerklasse abgedankt hat,
führt beides sein Nachleben im Geist der Intellektuellen, die die letzten Feinde der Bürger sind und die letzten Bürger zugleich.
Indem sie überhaupt noch Denken gegenüber der nackten Reproduktion des Daseins sich gestatten, verhalten sie sich als Privilegierte; indem sie es beim Denken belassen, deklarieren sie die Nichtigkeit ihres Privilegs.
Die private Existenz, die sich sehnt, der menschenwürdigen ähnlich zu sehen, verrät diese zugleich, indem die Ähnlichkeit der allgemeinen Verwirklichung entzogen wird, die doch mehr als je zuvor der unabhängigen Besinnung bedarf.
Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg.
Das einzige, was sich verantworten läßt, ist, den ideologischen Mißbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt.

7

They, the people. - Der Umstand, daß Intellektuelle meist mit Intellektuellen zu tun haben, sollte sie nicht dazu verführen, ihresgleichen für noch gemeiner zu halten als den Rest der Menschheit.
Denn sie erfahren sich gegenseitig durchweg in der beschämendsten und unwürdigsten Situation von allen, der von konkurrierenden Bittstellern, und kehren sich damit fast zwangshaft untereinander die abscheulichsten Seiten zu.
Die andern Menschen, insbesondere die einfachen, deren Vorzüge hervorzuheben der Intellektuelle so geneigt ist, begegnen ihm meist in der Rolle dessen, der einem etwas verkaufen will, ohne daß er darum fürchtet, der Kunde könne ihm je ins Gehege kommen. Der Automechaniker, das Mädchen im Likörladen hat es leicht, von Unverschämtheit frei zu bleiben:
zur Freundlichkeit wird es ohnehin von oben angehalten.
Wenn umgekehrt Analphabeten zu Intellektuellen kommen, um sich von ihnen Briefe aufsetzen zu lassen, so mögen auch jene leidlich gute Erfahrungen machen.
Sobald aber die einfachen Leute um ihren Anteil am Sozialprodukt sich raufen müssen, übertreffen sie an Neid und Gehässigkeit alles, was unter Literaten oder Kapellmeistern beobachtet werden kann.
Die Glorifizierung der prächtigen underdogs läuft auf die des prächtigen Systems heraus, das sie dazu macht. Berechtigte Schuldgefühle derer, die von der physischen Arbeit ausgenommen sind, sollten nicht zur Ausrede werden für die »Idiotie des Landlebens«.
Die Intellektuellen, die als einzige über die Intellektuellen schreiben und ihnen ihren schlechten Namen in dem der Echtheit machen, verstärken die Lüge.
Ein großer Teil des herrschenden Anti-Intellektualismus und Irrationalismus,
bis hinauf zu Huxley, wird in Gang gesetzt, indem die Schreibenden den Konkurrenzmechanismus anklagen, ohne ihn zu durchschauen, und ihm so verfallen. In ihrer eigensten Branche haben sie das Bewußtsein des tat twam asi* sich versperrt. Deshalb laufen sie dann in die indischen Tempel.

8

Wenn dich die bösen Buben locken. - Es gibt einen amor intellectualis zum Küchenpersonal, die Versuchung für theoretisch oder künstlerisch Arbeitende, den geistigen Anspruch an sich selbst zu lockern, unter das Niveau zu gehen, in Sache und Ausdruck allen möglichen Gewohnheiten zu folgen,
die man als wach Erkennender verworfen hat.
Da keine Kategorie, ja selbst die Bildung nicht mehr dem Intellektuellen vorgegeben ist und tausend Anforderungen der Betriebsamkeit die Konzentration gefährden, wird die Anstrengung, etwas zu produzieren,
was einigermaßen stichhält, so groß,
daß kaum einer ihrer mehr fähig bleibt.
Weiter setzt der Druck der Konformität, der auf jedem Produzierenden lastet,
dessen Forderung an sich selbst herab. Das Zentrum der geistigen Selbstdisziplin als solcher ist in Zersetzung begriffen.
Die Tabus, die den geistigen Rang eines Menschen ausmachen,
oftmals sedimentierte Erfahrungen und unartikulierte Erkenntnisse,
richten sich stets gegen eigene Regungen, die er verdammen lernte,
die aber so stark sind, daß nur eine fraglose und unbefragte Instanz ihnen Einhalt gebieten kann.
Was fürs Triebleben gilt, gilt fürs geistige nicht minder: der Maler und Komponist,
der diese und jene Farbenzusammenstellung oder Akkordverbindung als kitschig sich untersagt, der Schriftsteller, dem sprachliche Konfigurationen als banal oder pedantisch auf die Nerven gehen, reagiert so heftig gegen sie,
weil in ihm selber Schichten sind, die es dorthin lockt.
Die Absage ans herrschende Unwesen der Kultur setzt voraus, daß man an diesem selber genug teilhat, um es gleichsam in den eigenen Fingern zucken zu fühlen,
daß man aber zugleich aus dieser Teilhabe Kräfte zog, sie zu kündigen.
Diese Kräfte, die als solche des individuellen Widerstands in Erscheinung treten, sind darum doch keineswegs selber bloß individueller Art.
Das intellektuelle Gewissen, in dem sie sich zusammenfassen, hat ein gesellschaftliches Moment so gut wie das moralische Überich.
Es bildet sich an einer Vorstellung von der richtigen Gesellschaft und deren Bürgern. Läßt einmal diese Vorstellung nach
- und wer könnte noch blind vertrauend ihr sich überlassen -,
so verliert der intellektuelle Drang nach unten seine Hemmung, und aller Unrat, den die barbarische Kultur im Individuum zurückgelassen hat, Halbbildung, sich Gehenlassen, plumpe Vertraulichkeit, Ungeschliffenheit, kommt zum Vorschein.
Meist rationalisiert es sich auch noch als Humanität, als den Willen, anderen Menschen sich verständlich zu machen, als welterfahrene Verantwortlichkeit.
Aber das Opfer der intellektuellen Selbstdisziplin fällt dem, der es auf sich nimmt, viel zu leicht, als daß man ihm glauben dürfte, daß es eines ist.
Drastisch wird die Beobachtung an Intellektuellen, deren materielle Lage sich geändert hat: sobald sie sich nur einigermaßen einreden können,
daß sie mit Schreiben und nichts anderem Geld verdienen müßten,
lassen sie bis auf die Nuance genau den gleichen Schund in die Welt gehen, den sie als Wohlbestallte einmal aufs heftigste verfemten.
Ganz wie Emigranten, die einmal reich waren, in der Fremde oft nach Herzenslust so geizig sind, wie sie es zu Hause schon immer gern gewesen wären, so marschieren die Verarmten im Geiste begeistert in die Hölle,
die ihr Himmelreich ist.

*Tat tvam asi : “das, ( All,) bist du”):  ein Satz der Veda-Philosophie, der die Identität von Ich und Außenwelt ausspricht.  Altindischen Gelehrtensprache Sanskrit ]         Wedas

“...und aller Unrat, den die barbarische Kultur im Individuum zurückgelassen hat, Halbbildung, sich Gehenlassen, plumpe Vertraulichkeit, Ungeschliffenheit, kommt zum Vorschein.
Meist rationalisiert es sich auch noch als Humanität, als den Willen, anderen Menschen sich verständlich zu machen, als welterfahrene Verantwortlichkeit.”  
                               >>> 

Das Mittelmäßige dauert und regiert am Ende die Welt;
auch Gedanken hat diese Mittelmäßigkeit, schlägt damit die vorhandene Welt breit, tilgt die geistige Lebendigkeit, macht sie zur bloßen Gewohnheit, und so dauert's.
Ihre Dauer ist eben, daß sie in der Unwahrheit besteht, nicht ihr Recht erlangt, dem Begriffe nicht seine Ehre gibt, die Wahrheit sich nicht an ihr als Prozeß darstellt.”   (Hegel)           >>>

“Daraus, daß das unmittelbare Wissen das Kriterium der Wahrheit sein soll, folgt fürs zweite, daß aller Aberglaube und Götzendienst für Wahrheit erklärt wird und daß der unrechtlichste und unsittlichste Inhalt des Willens gerechtfertigt ist.”
 (Hegel)   >>>
 

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Theodor Adorno

Adorno        Adorno 2

Dialektik der Aufklärung

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Thesen gegen den Okkultismus

Adorno: Elfenbeinturm

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Adorno: Kulturindustrie

Theodor W. Adorno
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