G.W.F. Hegel (Notizen und Aphorismen 1818 - 1831)
Zur Religion und Geschichte
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Haben die alten Völkersagen einen religiösen oder einen geschichtlichen Ursprung; sind es in Symbole verhüllte Religionssysteme, oder sind es in Fabeln verhüllte Geschichtserinnerungen?
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Totendienst [der Ägypter].
Zu § Veränderung, Untergang
Aus der Ehre der Toten geht nichts hervor für Glauben an Unsterblichkeit des Geistes, da die Ägypter dem Vieh ebensolche Ehre erzeigten. Bei vielen Völkern verstorbene Heroen zu Göttern erhoben; durch diesen Weg [sind sie] dazu gekommen, das Höhere als ein Geistiges zu fassen - dies nicht bei den Ägyptern; keinen Heroen geopfert, sondern nur Lebendigem, und zwar Vieh. - Zwar Totengericht - über die verstorbenen Könige sowohl als andere - von den Priestern gehalten - es sei von großer Wirkung gewesen, die vor diesen üblen Andenken; - Osiris' Totengericht - häufig vorgestellt. Aber an christliche Idee von Vergeltung und Bestrafung des Geistes darf man eben nicht denken - kein geistiges Totenreich- denn nach 3000 Jahren wieder als menschlicher Leib - indessen erhalten als Leben - in Tieren; - also nicht Annahme eines bevölkerten Hades - Unsterblichkeit beruht auf dem Gefühl der Unendlichkeit des Geistes in sich - aber dieser nicht vorhanden - sonst hätten sie sich nicht dem Vieh gleich, ja dieses nicht höher geachtet. - Einbalsamieren, das Sterbliche erhalten. Hätten sie an die Unsterblichkeit des Geistes geglaubt, nicht Sterbliches aufbewahrt. Iß und trink.
Priesterschaft kann nichts Besseres wissen; sie ist nicht ein Isoliertes - obgleich Kaste, in endlicher Wissenschaft, Kultur des Verstandes, aber nicht der Vernunft. - ο??̔?σsι?ο?ν? darum nicht eine Weisheit. - Herodot sagt einmal, er dürfe nicht sagen, mit was sich die Weiber bei einem Feste prügeln, denn es sei ο?σsι?ο?ν?. Moral: iß und trink, denn du wirst wie dieses ... [?] Nach dem Essen ein geschnitztes Bild von einem Toten herumgeboten.
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Es kann und ist bei den Orientalen heraus, diese Negation -Poesie des Todes und der Eitelkeit aller Dinge um des Todes willen, - Verachtung des Todes, sowie höheren Zwecks (Mühe und Arbeit ist eitel) - und Genuß des Lebens. - Charakter persischer Dichter, Hafis - völliger - poetischer -
Bei Ägyptern wissen wir nichts von Poesie - Herodot [erwähnt] ein Lied, Linos, das sie singen, auch die Phönizier. Ich glaube sogar, er sagt, es sei das einzige gewesen, das sie singen - sonst Geschrei, Geheul - poetisch, - ungeheure Ungebundenheit des sinnlichen Genusses.
- Ausführung: iß und trink und liebe -
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Sphinxengänge - Propyläen vor den ägyptischen Tempeln.
Hirt, Gesch. der B[au]kunst I, p. 30: "Sphinxe bewachten die Zugänge des Heiligen, um die Frommen mit Scheu zu erfüllen."
Zu vergleichen mit unserem Glockengeläute, als Vorbereitung, allgemeine Stimmung.
Glockengeläute ist Ton, subjektive Vorbereitung, Stimmung des Innern.
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Livius I. 45.
Servius Tullius führt den Dienst der ephesischen Diana ein, deren Tempel von den asiatischen Völkerschaften gemeinschaftlich gestiftet werden soll, um ebenso die Lateiner und Römer zu verbinden.
Dienst der Götter, äußerlich, trocken eingeführt, nicht aus eigner Anschauung und Geist. - Römer ohne Mythologie.
Securi adversus Deos, sagte Tacitus gegen die Römer von den Deutschen; - gegen die abergläubischen Römer. Febris, Pestis
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wie Cloacina waren ihnen Götter. - Davon ist nicht weit zum Teufel. - Jene nur physische Teufeleien - sie ins Geistige erhoben, so haben wir Teufel.
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Christus, den Menschen vorgestellt, ist noch ein ganz anderes Rätsel als das ägyptische. Dieses ist der Tierleib, aus dem ein Menschenangesicht herausbricht, - aber dort der Menschenleib, aus dem der Gott hervorbricht.
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Es gibt solche, welche die spekulative Erkenntnis der christlichen Mysterien darum hassen, weil sie das Verdienst der Unvernunft verlieren. Der wahre Glaube ist unbefangen, ob die Vernunft ihm gemäß sei oder nicht, ohne Rücksicht und Beziehung auf die Vernunft; aber der polemische Glaube will glauben gegen die Vernunft.
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Bewußtsein über die Innerlichkeit der Menschen
αa) Hexenprozesse
β) Inquisition
γ?) Kasuistik
δd) Reformation.
Es ist das Innere, das Herz, worauf es ankommt.
αa) Dies Innere Böse; - Glauben an dasselbe und Gegenwart im Menschen und Verfolgen desselben.
β) Ebenso Verfolgen des Bösen, - Glauben an dasselbe, in Vorstellungen es setzen in Abweichungen von Sätzen der Kirche.
γ?) Alles Bestimmte aufheben - das Gute und Böse, in der Gesinnung - Grund, der sich stütze auf irgendein Kirchliches, suchen
δd) Göttliche Gesinnung wesentlich im Herzen. 11/560
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Canova wollte die Kirche, die er in seiner Vaterstadt erbaute, Gott weihen. Dies wurde nicht zugegeben - (als impie?!). Brahma hat keine Tempel in Indien. Protestantische Kirchen sind Bethäuser. Gotteshäuser: Name im südlichen Deutschland.
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Im Jahre 1764 wurde in Danzig ein neues Gesangbuch gefertigt. Von Gellert kamen nur zwei Lieder hinein, und zwar, wie sich das Geistliche Ministerium deshalb ausdrückte, weil er "auch ein Komödiendichter" war.
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In Rußland wurde das Tabakrauchen 1634 bei Verlust der Nase verboten. In Konstantinopel wurde 1610 ein Türke mit durch die Nase gestoßener Pfeife zur Warnung durch die Straßen geführt. - Die Päpste Urban VIII. und Innozenz XII. taten alle in den Bann, die in der Kirche schnupfen würden. Benedikt XIII. mußte 1724 die Exkommunikation seiner Vorgänger zurücknehmen, weil er sich selbst an den Tabak gewöhnt hatte.
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In der Weltgeschichte gilt die Einteilung - wie bei den Griechen und Römern - der Völker in zwei Teile: Griechen und Römer - und Barbaren.
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Gottesfrieden - Frieden auf eine Zeitlang, oder an gewissen Orten; Burgfrieden - Anfang von partikul[ärem] Frieden.
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Die russischen Frauen beklagen sich, wenn sie von ihren Männern nicht geprügelt werden - sie haben sie nicht lieb. Dies ist die Weltgeschichte. [Auch die Völker] wollen die Hundepeitsche.
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