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Georg Wilhelm Friedrich Hegel:
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
b. Verhältnis der Philosophie zur Religion
Wie nämlich das erste Gebiet mit der Philosophie durch die formelle, selbständige Erkenntnis überhaupt verwandt war, so ist die Religion durch den Inhalt zwar das Gegenteil dieser ersten Weise und Sphäre, aber durch denselben eben mit der Philosophie verwandt. Ihr Gegenstand ist nicht das Irdische, Weltliche, sondern das Unendliche. Mit der Kunst und vornehmlich mit der Religion hat die Philosophie es gemein, die ganz allgemeinen Gegenstände zum Inhalt zu haben. Sie sind die Weisen, in welchen die höchste Idee für das nicht philosophische, fürs empfindende, anschauende, vorstellende Bewußtsein vorhanden ist; und indem der Zeit nach im Gange der Bildung die Erscheinung der Religion dem Hervortreten der Philosophie vorangeht, so ist dieses Verhältnis wesentlich zu erwähnen. Und es hat sich die Bestimmung für den Anfang der Geschichte der Philosophie daran zu knüpfen, indem eben zu zeigen ist, inwiefern von ihr das Religiöse auszuschließen und mit ihm nicht der Anfang zu machen ist.
In den Religionen haben die Völker allerdings niedergelegt, wie sie sich das Wesen der Welt, die Substanz der Natur und des Geistes vorstellten und wie das Verhältnis des Menschen zu demselben. Das absolute Wesen ist hier ihrem Bewußtsein Gegenstand; Gegenstand - zunächst das Andere für sie, ein Jenseits, näheres oder ferneres, freundlicher oder furchtbarer und feindlicher. In der Andacht und im Kultus hebt der Mensch diesen Gegensatz auf und erhebt sich zum Bewußtsein der Einheit mit seinem Wesen, dem Gefühl oder der Zuversicht der Gnade Gottes, daß Gott die Menschen zur Versöhnung mit sich angenommen hat. Ist in der Vorstellung schon, wie z. B. bei den Griechen, dies Wesen ein dem Menschen bereits an und für sich freundliches, so ist der Kultus mehr nur der Genuß dieser Einheit. Dies Wesen ist nun überhaupt die an und für sich seiende Vernunft, die allgemeine konkrete Substanz, der Geist, dessen Urgrund sich objektiv im Bewußtsein ist; es ist dies also eine Vorstellung desselben, in welcher nicht nur Vernünftigkeit überhaupt, sondern in welcher die allgemeine unendliche Vernünftigkeit ist. Es ist oben erinnert worden, daß man wie die Philosophie so die Religion zuerst fassen müsse, d. i. sie als vernünftig erkennen und anerkennen müsse. Denn sie ist das Werk der sich offenbarenden Vernunft, und ihr höchstes, vernünftigstes. Es sind absurde Vorstellungen, daß Priester dem Volke zum Betrug und Eigennutz eine Religion überhaupt gedichtet haben usf.; es ist ebenso seicht als verkehrt, die Religion als eine Sache der Willkür, der Täuschung anzusehen. Mißbraucht haben sie oft die Religion, - eine Möglichkeit, welche eine Konsequenz des äußeren Verhältnisses und zeitlichen Daseins der Religion ist; aber weil sie Religion ist, kann sie wohl hie und da an diesem äußerlichen Zusammenhange ergriffen werden; aber wesentlich ist sie es, die vielmehr gegen die endlichen Zwecke und deren Verwicklungen festhält und die über sie erhabene Region ausmacht. Diese Region des Geistes ist vielmehr das Heiligtum der Wahrheit selbst, das Heiligtum, worin die übrige Täuschung der Sinnenwelt, der endlichen Vorstellungen und Zwecke, dieses Feldes der Meinung und der Willkür zerflossen ist.
Dies Vernünftige, wie es wesentlicher Inhalt der Religionen ist, könnte herauszuheben und als geschichtliche Reihe von Philosophemen aufzuführen zu sein scheinen. Die Philosophie steht mit der Religion auf gleichem Boden, hat denselben Gegenstand: die allgemeine, an und für sich seiende Vernunft; der Geist will sich diesen Gegenstand zu eigen machen, wie in der Religion es in der Andacht und dem Kultus geschieht. Allein die Form, wie jener Inhalt in der Religion vorhanden ist, ist verschieden von derjenigen, wie er in der Philosophie vorhanden ist, und deswegen ist eine Geschichte der Philosophie von einer Geschichte der Religion notwendig unterschieden. Die Andacht ist nur: daranhindenken; die Philosophie will diese Versöhnung durch denkende Erkenntnis vollbringen, indem der Geist sein Wesen in sich aufnehmen will. Die Philosophie verhält sich in der Form des denkenden Bewußtseins zu ihrem Gegenstande, die Religion nicht auf diese Weise. Aber der Unterschied beider Sphären darf nicht so abstrakt gefaßt werden, als ob nur in der Philosophie gedacht werde, nicht in der Religion; sie hat auch Vorstellungen, allgemeine Gedanken. Weil beides so nahe verwandt ist, ist es in der Geschichte der Philosophie eine alte Tradition, eine persische, indische usf. Philosophie aufzuführen, - eine Gewohnheit, die zum Teil noch in ganzen Geschichten der Philosophie beibehalten wird. Auch ist es eine solche überall fortgepflanzte Sage, daß z. B. Pythagoras seine Philosophie aus Indien und Ägypten geholt habe. Es ist ein alter Ruhm, der Ruhm der Weisheit dieser Völker, welche auch Philosophie in sich zu enthalten verstanden wird. Ohnehin führen die morgenländischen Vorstellungen und Gottesdienste, welche zur Zeit des römischen Kaiserreichs das Abendland durchdrungen haben, den Namen orientalischer Philosophie. Wenn in der christlichen Welt die christliche Religion und die Philosophie bestimmter als getrennt betrachtet werden, so wird dagegen vornehmlich in jenem orientalischen Altertum Religion und Philosophie als ungetrennt in dem Sinne betrachtet, daß der Inhalt in der Form, in welcher er Philosophie ist, vorhanden gewesen sei. Bei der Geläufigkeit dieser Vorstellungen und um für das Verhalten einer Geschichte der Philosophie zu religiösen Vorstellungen eine bestimmtere Grenze zu haben, wird es zweckmäßig sein, über die Form, welche religiöse Vorstellungen von Philosophemen unterscheidet, einige nähere Betrachtungen anzustellen.
Die Religion hat nicht nur allgemeine Gedanken als inneren Inhalt implizite in ihren Mythen, Phantasievorstellungen, positiven eigentlichen Geschichten, so daß wir solchen Inhalt erst hernach als Philosophem aus den Mythen herausgraben müssen, sondern die Religion hat den Inhalt auch explizite in der Form des Gedankens. In der persischen und indischen Religion sind sehr tiefe, erhabene, spekulative Gedanken selbst ausgesprochen. Ja, es begegnen uns ferner in der Religion ausdrückliche Philosophien, wie z. B. die Philosophie der Kirchenväter. Die scholastische Philosophie ist wesentlich Theologie gewesen. Wir finden hier eine Verbindung oder, wenn man will, Vermischung von Theologie und Philosophie, die uns wohl in Verlegenheit setzen kann. Die Frage ist nun einerseits: wie unterscheidet sich die Philosophie von der Theologie (Wissen der Religion) oder Religion (als Bewußtsein)? und dann: inwiefern haben wir in der Geschichte der Philosophie auf das Religiöse Rücksicht zu nehmen? Es ist hier von zwei Seiten zu sprechen, erstens der mythischen und geschichtlichen Seite der Religion und ihrer Verwandtschaft mit der Philosophie, zweitens von der Philosophie innerhalb der Theologie, den ausdrücklichen Philosophemen und spekulativen Gedanken in der Religion.
Erstens. Die mythische Seite, darunter die geschichtlich positive Seite überhaupt, ist interessant zu betrachten, weil daraus der Unterschied in Hinsicht der Form erhellen wird, in welcher dieser Inhalt im Gegensatz zur Philosophie vorhanden ist. Ja, bei ihrer Verwandtschaft geht ihre Verschiedenheit zugleich zur scheinbaren Unverträglichkeit fort. Dieser Gegensatz fällt nicht nur in unsere Betrachtung, sondern macht selbst ein sehr bestimmtes Moment in der Geschichte aus. Die Philosophie ist in Gegensatz gegen die Religion gekommen und umgekehrt, indem das Philosophieren von der Religion, der Kirche angefeindet und verdammt worden Es ist also nicht nur zu fragen, ob in der Geschichte der Philosophie auf die Religion Rücksicht zu nehmen sei, sondern es ist geschehen, daß die Philosophie selbst Rücksicht auf die Religion und diese auf jene genommen hat. Da sich beide in der Geschichte nicht unberührt auf der Seite haben liegen lassen, so dürfen wir es auch nicht.
Es wird der Philosophie zugemutet, daß sie ihr Beginnen, ihre Erkenntnisweise rechtfertige. Schon die griechische Volksreligion hat mehrere Philosophen verbannt; noch mehr ist dieser Gegensatz aber in der christlichen Kirche vorgekommen. Von diesem Verhältnisse müssen wir bestimmt, offen und ehrlich sprechen, aborder la question, wie die Franzosen es nennen, - nicht quängeln, als sei dies zu delikat, hinaushelfen, herumreden, Ausflüchte, Wendungen suchen, so daß am Ende niemand wisse, was es heißen soll. Man muß sich nicht den Schein geben wollen, als ob man die Religion wolle unangetastet liegen lassen. Dieser Schein ist nichts anderes, als daß man verdecken will, daß sich die Philosophie gegen die Religion gerichtet hat. Die Religion, d. h. die Theologen machen es zwar so, ignorieren die Philosophie, aber nur, um nicht geniert zu werden in ihren willkürlichen Räsonnements.
Es könnte scheinen, als wenn die Religion forderte, daß der Mensch auf das Denken allgemeiner Gegenstände, auf die Philosophie verzichte, weil es nur Weltweisheit, menschliches Tun sei. Die menschliche Vernunft wird dann der göttlichen entgegengesetzt. Man ist hierüber zwar wohl an die Unterscheidung von göttlicher Lehre und Gesetz und von menschlichem Machwerk und Erfindung in dem Sinne gewöhnt, daß unter letzterem alles das zusammengefaßt wird, was in seiner Erscheinung aus dem menschlichen Bewußtsein, seiner Intelligenz oder Willen hervorgeht, und alles dieses dem Wissen von Gott und den göttlichen Dingen (göttlicher Offenbarung) entgegengesetzt wird. Die durch diesen Gegensatz ausgesprochene Herabsetzung des Menschlichen wird dann aber noch weiter getrieben, indem sie die nähere Wendung erhält, daß man zwar wohl angewiesen wird, die Weisheit Gottes in der Natur zu bewundern, - daß die Saat, die Berge, die Zedern Libanons in ihrer Pracht, der Gesang der Vögel in ihren Zweigen und die weitere Kraft und Haushaltung der Tiere als die Werke Gottes gepriesen werden; daß zwar wohl auch in den menschlichen Dingen auf die Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes hingewiesen wird, aber nicht sowohl in den menschlichen Einrichtungen, Gesetzen und durch den Willen erzeugten Handlungen und Gang der Welt, als vornehmlich auf die menschlichen Schicksale, d. i. dasjenige, was dem Wissen und dem freien Willen äußerlich und dagegen zufällig ist, - so daß dieses Äußerliche und Zufällige als das vornehmlich, was Gott dazu tut, die wesentliche Seite aber, die im Willen und Gewissen ihre Wurzel hat, als das angesehen wird, was der Mensch tut. Die Zusammenstimmung der äußerlichen Verhältnisse, Umstände und Ereignisse zu den Zwecken des Menschen überhaupt ist freilich etwas Höheres, aber es ist es nur darum, weil es menschliche Zwecke, nicht Naturzwecke - das Leben eines Sperlings, der sein Futter findet usf. - sind, zu welchen eine solche Zusammenstimmung betrachtet wird. Wird in ihr aber dies als das Hohe gefunden, daß Gott Herr über die Natur sei - was ist dann der freie Wille? Ist er nicht der Herr über das Geistige oder (indem er selbst geistig) der Herr im Geistigen, und wäre der Herr über oder im Geistigen nicht höher als der Herr über oder in der Natur? Jene Bewunderung Gottes aber in den natürlichen Dingen als solchen, den Bäumen, den Tieren im Gegensatze gegen das Menschliche, ist sie weit entfernt von der Religion der alten Ägypter, welche in den Ibis, Katzen und Hunden ihr Bewußtsein des Göttlichen gehabt haben, oder von dem Elend der alten und der jetzigen Inder, die noch die Kühe und die Affen göttlich verehren und für die Erhaltung und Nahrung dieses Viehs gewissenhaft bedacht sind und die Menschen verhungern lassen, welche durch das Schlachten jenes Viehs oder nur durch dessen Futter dem Hungertode zu entziehen ein Frevel sein würde?
In dieser Wendung scheint ausgesprochen zu sein, daß das menschliche Tun gegen die Natur ein Ungöttliches, die Naturwerke göttliche Werke seien, was aber der Mensch produziere, ungöttlich. Was die menschliche Vernunft produziert, könnte aber wenigstens gleiche Würde haben als die Natur. Da vergeben wir aber der Vernunft schon mehr, als uns erlaubt. Ist das Leben, Tun der Tiere schon göttlich, so muß das menschliche Tun viel höher stehen, in unendlich höherem Sinne göttlich genannt werden. Der Vorzug des menschlichen Denkens muß sogleich zugestanden werden. Christus spricht hierüber: "Sehet die Vögel" (worunter auch die Ibis und Kokilas gehören) "an unter dem Himmel ... . Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? ... So Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch tun?" 01) Der Vorzug des Menschen, des Ebenbildes Gottes, vor dem Tier und der Pflanze wird wohl an und für sich zugestanden; aber indem gefragt wird, wo das Göttliche zu suchen und zu sehen sei, so wird in jenen Ausdrückungen nicht auf das Vorzügliche, sondern auf das Geringere gewiesen. Ebenso ist es eben in Rücksicht des Wissens von Gott viel anders, daß Christus die Erkenntnis und den Glauben an ihn nicht in die Bewunderung aus den natürlichen Kreaturen noch in die Verwunderung aus der sogenannten Macht über sie, aus Zeichen und Wundern, sondern in das Zeugnis des Geistes setzt. Der Geist ist ein unendlich Höheres als die Natur; in ihm manifestiert sich die Göttlichkeit mehr als in der Natur.
Die Form aber, wodurch der an und für sich allgemeine Inhalt erst der Philosophie angehört, ist die Form des Denkens, die Form des Allgemeinen selbst. In der Religion ist dieser Inhalt aber durch die Kunst für die unmittelbare äußere Anschauung, ferner für die Vorstellung, die Empfindung. Die Bedeutung ist für das sinnige Gemüt, sie ist das Zeugnis des Geistes, der solchen Inhalt versteht. Es ist, um dies deutlicher zu machen, an den Unterschied zu erinnern zwischen dem, was wir sind und haben, und dem, wie wir dasselbe wissen, d. i. in welcher Weise wir es wissen, d. i. als Gegenstand haben. Dieser Unterschied ist das unendlich Wichtige, um das es sich allein in der Bildung der Völker und der Individuen handelt und was oben als der Unterschied der Entwicklung dagewesen ist. Wir sind Menschen und haben Vernunft; was menschlich, was vernünftig überhaupt ist, widerklingt in uns, in unserem Gefühl, Gemüt, Herz - in unserer Subjektivität überhaupt. Dieser Widerklang, diese bestimmte Bewegung ist es, worin ein Inhalt überhaupt unser und als der unsrige ist. Die Mannigfaltigkeit von Bestimmungen, die er enthält, ist in dieser Innerlichkeit konzentriert und eingehüllt, - ein dumpfes Weben des Geistes in sich, in der allgemeinen Substantialität. Der Inhalt ist so unmittelbar identisch mit der einfachen, abstrakten Gewißheit unserer selbst, mit dem Selbstbewußtsein. Aber der Geist, weil er Geist ist, ist ebenso wesentlich Bewußtsein. Die in sein einfaches Selbst eingeschlossene Gedrungenheit muß sich gegenständlich werden, sie muß zum Wissen kommen. Und in der Art und Weise dieser Gegenständlichkeit, der Art und Weise hiermit des Bewußtseins, ist es, daß der ganze Unterschied liegt.
Diese Art und Weise erstreckt sich von dem einfachen Ausdrucke der Dumpfheit der Empfindung selbst bis zur objektivsten, der an und für sich objektiven Form, dem Denken. Die einfachste formellste Objektivität ist der Ausdruck und Name für jene Empfindung und für die Stimmung zu derselben, wie er heiße: Andacht, Beten usf. "Laßt uns beten, laßt uns andächtig sein" usf. ist die einfache Erinnerung an jenes Empfinden. "Laßt uns an Gott denken" aber z. B. spricht schon weiter aus; es drückt den absoluten umfassenden Inhalt jenes substantiellen Gefühls aus, den Gegenstand, der von der Empfindung als subjektiver, selbstbewußter Bewegung unterschieden ist oder welcher der Inhalt ist, unterschieden von dieser Bewegung als der Form. Aber dieser Gegenstand, zwar den ganzen substantiellen Inhalt in sich fassend, ist selbst noch unentwickelt und völlig unbestimmt. Dessen Inhalt aber entwickeln, die sich daraus ergebenden Verhältnisse fassen, aussprechen, zum Bewußtsein bringen, ist das Entstehen, Erzeugen, Offenbaren der Religion. Die Form, in welcher dieser entwickelte Inhalt zunächst Gegenständlichkeit erhält, ist die der unmittelbaren Anschauung der sinnlichen Vorstellung oder einer von den natürlichen, physischen oder geistigen Erscheinungen und Verhältnissen hergenommenen, näher bestimmten Vorstellung.
Die Kunst vermittelt dies Bewußtsein, indem sie dem flüchtigen Scheine, mit dem die Objektivität in der Empfindung vorübergeht, Haltung und Befestigung gibt. Der formlose, heilige Stein, der bloße Ort oder was es ist, woran das Bedürfnis der Objektivität sich zunächst anknüpft, erhält von der Kunst Gestalt, Züge, Bestimmtheit und bestimmteren Inhalt, der gewußt werden kann, nun als Gegenstand für das Bewußtsein vorhanden ist. Die Kunst ist so Lehrerin der Völker geworden, wie z. B. in "Homer und Hesiod, welche den Griechen ihre Theogonie gemacht" 02), indem sie - es sei, woher es wolle - erhaltene und vorgefundene verworrene Vorstellungen und Traditionen, dem Geiste ihres Volkes entsprechend, zu bestimmten Bildern und Vorstellungen erhoben und gefestigt haben. Es ist dies nicht die Kunst, welche den Inhalt einer in Gedanken, Vorstellungen und Worten schon ausgebildeten fertigen Religion nun auch in den Stein, auf Leinwand oder in Worte bringt, wie die Kunst neuerer Zeit tut, wenn sie religiöse Gegenstände, oder ebenso, wenn sie Geschichtliches behandelt, die vorhandenen Vorstellungen und Gedanken zugrunde liegen hat, - ihn nur, der sonst schon auf seine Weise vollständig ausgedrückt ist, nun auf ihre Weise ausdrückt. Das Bewußtsein dieser Religion ist das Produkt der denkenden Phantasie oder des Denkens, welches nur durch das Organ der Phantasie erfaßt und in ihrem Gestalten seinen Ausdruck hat.
Ob nun gleich in der wahrhaften Religion das unendliche Denken, der absolute Geist sich offenbar gemacht hat und offenbar macht, so ist das Gefäß, in welchem es sich kundtut, das Herz, das vorstellende Bewußtsein und der Verstand des Endlichen. Die Religion ist nicht nur überhaupt an jede Weise der Bildung - "den Armen wird das Evangelium gepredigt" - gerichtet; sondern sie muß als Religion ausdrücklich als an das Herz und Gemüt gerichtet, in die Sphäre der Subjektivität hereintreten und damit in das Gebiet der endlichen Vorstellungsweise. Im wahrnehmenden und über die Wahrnehmungen reflektierenden Bewußtsein hat für die ihrer Natur nach spekulativen Verhältnisse des Absoluten der Mensch in seinem Vorrat nur endliche Verhältnisse, welche ihm allein dienen können - es sei in ganz eigentlichem oder aber auch in symbolischem Sinne -, jene Natur und Verhältnisse des Unendlichen zu fassen und auszusprechen.
In der Religion, als der nächsten und unvermittelten Offenbarung Gottes, kann nicht nur die Form der Vorstellungsweise und des reflektierenden endlichen Denkens allein diejenige sein, unter der er sich Dasein im Bewußtsein gibt sondern diese Form soll es auch sein, unter der er erscheint, denn diese ist es auch allein, welche für das religiöse Bewußtsein verständlich ist. Es muß, um dies deutlicher zu machen, etwas darüber gesagt werden, was Verstehen heißt. Es gehört nämlich dazu, einerseits, wie oben bemerkt worden, die substantielle Grundlage des Inhalts, welche, als das absolute Wesen des Geistes an ihn kommend, sein Innerstes berührt, in demselben widerklingt und darin Zeugnis von ihm erhält. Dies ist die erste absolute Bedingnis des Verstehens; was nicht an sich in ihm ist, kann nicht in ihn hineinkommen, kann nicht für ihn sein, - solcher Inhalt nämlich, der unendlich und ewig ist. Denn das Substantielle ist eben als unendlich dasjenige, was keine Schranke an demjenigen hat, auf welches es sich bezieht; denn sonst wäre es beschränkt und nicht das wahrhaft Substantielle, und der Geist deswegen ist nur dasjenige nicht an sich, was endlich, äußerlich ist; denn eben das, was endlich und äußerlich ist, ist nicht mehr das, was an sich ist, sondern was für ein Anderes, was ins Verhältnis getreten ist. Aber indem nun andererseits das Wahre und Ewige gewußt werden, d. i. in das endliche Bewußtsein treten, für den Geist sein soll, so ist dieser Geist, für welchen es zunächst ist, der endliche, und die Weise seines Bewußtseins besteht in den Vorstellungen und Formen endlicher Dinge und Verhältnisse. Diese Formen sind das dem Bewußtsein Geläufige, Eingewohnte; es ist die allgemeine Weise der Endlichkeit, welche Weise es sich angeeignet und zu dem allgemeinen Medium seines Vorstellens gemacht, auf welches alles, was an dasselbe kommt, zurückgebracht sein muß, um darin sich selbst zu haben und zu erkennen.
Die Stellung der Religion ist diese: Die Wahrheit, die durch sie an uns kommt, ist äußerlich gegeben. Man behauptet, die Offenbarung des Wahren sei eine dem Menschen gegebene, er habe sich darin in Demut zu bescheiden; die menschliche Vernunft könne für sich selbst nicht darauf kommen. Die Wahrheiten der Religion sind; man weiß nicht, woher sie gekommen; der Inhalt ist als gegebener, der über und jenseits der Vernunft sei. Dies ist positive Religion. Irgend durch einen Propheten, göttlichen Abgesandten ist die Wahrheit verkündet. Er ist Individuum; wer dieser sei, ist für den Inhalt an und für sich gleichgültig. Ceres, Triptolem haben den Ackerbau, die Ehe eingeführt, sie sind von den Griechen geehrt worden; gegen Moses, Mohammed sind die Völker dankbar geworden. Diese Äußerlichkeit, durch welches Individuum die Wahrheit gegeben worden, ist etwas Geschichtliches, das nicht den absoluten Inhalt angeht. Die Person ist nicht Inhalt der Lehre selbst. Bei der christlichen Religion ist dies Eigentümliche, daß diese Person, Christus selbst, seine Bestimmung, Sohn Gottes zu sein, zur Natur Gottes selbst gehört. Ist Christus für die Christen nur Lehrer, wie Pythagoras, Sokrates oder Kolumbus, so ist dies kein allgemeiner göttlicher Inhalt, keine Offenbarung, Belehrung über die Natur Gottes, und über diese allein wollen wir belehrt sein.
Allerdings muß die Wahrheit - es sei auf welcher Stufe sie selbst stehe - zuerst in äußerlicher Weise an die Menschen kommen, als sinnlich vorgestellter, gegenwärtiger Gegenstand; wie Moses Gott im feurigen Busch erblickte und sich die Griechen den Gott in Marmorbildern oder sonstigen Vorstellungen zum Bewußtsein gebracht haben. Das Weitere ist, daß es bei dieser äußerlichen Weise nicht bleibt und nicht bleiben soll - in der Religion wie in der Philosophie. Solche Gestalt der Phantasie oder geschichtlicher Inhalt (wie Christus) soll für den Geist ein Geistiges werden; so hört er auf, ein Äußerliches zu sein, denn die äußerliche Weise ist die geistlose. Wir sollen Gott "im Geist und in der Wahrheit" erkennen. Gott ist der allgemeine, der absolute, wesentliche Geist. In Ansehung des Verhältnisses des menschlichen Geistes zu diesem Geiste kommt es auf folgende Bestimmungen an.
Der Mensch soll eine Religion annehmen. Was ist der Grund seines Glaubens? Die christliche Religion sagt: das Zeugnis des Geistes von diesem Inhalt. Christus verweist es den Pharisäern, daß sie Wunder wollen; nur der Geist vernimmt den Geist, Wunder ist nur Ahnung des Geistes, Wunder ist Unterbrechung der Natur; der Geist ist erst das wahrhafte Wunder gegen den Lauf der Natur. Der Geist selbst ist nur dies Vernehmen seiner selbst. Es ist nur ein Geist, der allgemeine göttliche Geist, - nicht daß er nur allenthalben ist. Er ist nicht als Gemeinschaftlichkeit, als äußerliche Allheit nur in vielen, allen Individuen, die wesentlich als Einzelne sind, zu fassen, sondern als das Durchdringende, als die Einheit seiner selbst und eines Scheines seines Anderen, als des Subjektiven, Besonderen. Er ist als allgemein sich Gegenstand, so als Besonderes bestimmt dieses Individuum; als allgemein aber über dies sein Anderes übergreifend, sein Anderes und er selbst in einem. Die wahrhafte Allgemeinheit erscheint (populär ausgedrückt) als zwei, das Gemeinschaftliche des Allgemeinen selbst und des Besonderen. Im Vernehmen seiner selbst ist Entzweiung gesetzt, und der Geist ist Einheit des Vernommenen und Vernehmenden. Der göttliche Geist, der vernommen wird, ist der objektive; der subjektive Geist vernimmt. Der Geist ist aber nicht passiv, die Passivität kann nur momentan sein; es ist eine geistige substantielle Einheit. Der subjektive Geist ist der tätige, aber der objektive Geist ist selbst diese Tätigkeit. Der tätige, subjektive Geist, der den göttlichen Geist vernimmt - und insofern er den göttlichen Geist vernimmt -, ist der göttliche Geist selber. Dieses Verhalten des Geistes nur zu sich selbst ist die absolute Bestimmung; der göttliche Geist lebt in seiner Gemeinde, ist darin gegenwärtig. Dies Vernehmen ist Glaube genannt worden. Das ist nicht historischer Glaube. Wir Lutheraner - ich bin es und will es bleiben - haben nur jenen ursprünglichen Glauben. Diese Einheit ist nicht die spinozistische Substanz, sondern die wissende Substanz im Selbstbewußtsein, welches sich verunendlicht und zur Allgemeinheit verhält. Das Gerede von den Schranken des menschlichen Denkens ist seicht; Gott zu erkennen, ist der einzige Zweck der Religion. Das Zeugnis des Geistes vom Inhalt der Religion ist Religiosität selbst; es ist Zeugnis, das bezeugt; dieses ist zugleich Zeugen. Der Geist zeugt sich selbst und erst im Zeugnis; er ist nur, indem er sich zeugt, sich bezeugt und sich zeigt, sich manifestiert.
Das Weitere ist dieses, daß dies Zeugnis, dies innige Selbstbewußtsein, Weben in sich selbst, Andacht und eingehülltes Bewußtsein (so daß es nicht zum eigentlichen Bewußtsein kommt, zum Objekte) sich entschließt. Dieser durchdringende und durchgedrungene Geist tritt jetzt in die Vorstellung; Gott geht zum Anderen über, macht sich zum Gegenständlichen. Hier treten alle Bestimmungen von Gegebensein und Empfangen ein, die uns in der Mythologie vorkommen; alles Historische, die positive Seite hat hier ihre Stelle. Um bestimmter zu sprechen: wir haben dann den Christus, der vor beinah 2000 Jahren in die Welt gekommen. Aber er sagt: "Ich bin bei euch bis an der Welt Ende"; "wo zwei in meinem Namen versammelt sind, bin ich bei euch" 03); werde ich nicht mehr sinnlich als Person gegenwärtig vor euch sein, so "wird der Geist euch in alle Wahrheit leiten" - das äußerliche Verhältnis ist nicht das rechte, es wird sich aufheben.
Die zweierlei Stadien sind darin angegeben: Erstens das Stadium der Andacht, des Kultus, z. B. der Genuß des Nachtmahls; das ist das Vernehmen des göttlichen Geistes in der Gemeinde, in ihr hat der jetzt gegenwärtige, inwohnende, lebendige Christus als Selbstbewußtsein Wirklichkeit. Zweitens das Stadium des entwickelten Bewußtseins, wo der Inhalt Gegenstand wird; hier fliegt dieser jetzige, gegenwärtige, inwohnende Christus um 2000 Jahre zurück, wird in einen Winkel von Palästina relegiert, ist als diese geschichtliche Person fern zu Nazareth, zu Jerusalem. Analogisch ist es in der griechischen Religion; der Gott in der Andacht wird zur prosaischen Bildsäule, zu Marmor, - in der Malerei zu Leinwand oder Holz; es kommt zu dieser Äußerlichkeit. Das Nachtmahl ist lutherisch nur im Glauben, im Genusse ein göttliches, - nicht als Hostie noch verehrlich. So ist uns ein Heiligenbild nichts anderes als Stein, ein Ding. Der zweite Standpunkt muß zwar der sein, womit das Bewußtsein anfängt; es muß von dem äußerlichen Vernehmen dieser Gestaltung ausgehen, das Berichtetwerden an sich kommen lassen, den Inhalt ins Gedächtnis aufnehmen. Bleibt es aber dabei, so ist das der ungeistige Standpunkt. Auf diesem zweiten Standpunkt - in dieser historischen, toten Ferne - stehenbleiben, heißt den Geist verwerfen. Wer gegen den Heiligen Geist lügt, dessen Sünde kann nicht verziehen werden. Das Lügen aber gegen den Geist ist eben dies, daß er nicht ein allgemeiner - nicht ein heiliger - sei; d. h. daß Christus nur ein Getrenntes, Abgesondertes sei, nur eine andere Person als diese Person, nur in Judäa gewesen, oder auch jetzt noch ist, aber jenseits, im Himmel, Gott weiß wo, nicht auf wirkliche, gegenwärtige Weise in seiner Gemeinde. Wer von der nur endlichen, nur menschlichen Vernunft, den nur Schranken der Vernunft spricht, der lügt gegen den Geist; denn der Geist als unendlich, allgemein, sich selbst vernehmend, vernimmt sich nicht in einem Nur in Schranken, im Endlichen als solchem, hat kein Verhältnis dazu, - vernimmt sich nur in sich, in seiner Unendlichkeit.
Man sagt: Die Philosophie erkennt das Wesen. Der Hauptpunkt ist hier dann dieser, daß das Wesen nicht ein dem Äußerliches ist, dessen Wesen es ist. Das Wesen meines Geistes ist in meinem Geiste selbst, nicht draußen. So beim wesentlichen Inhalt eines Buches: ich abstrahiere von Band, Papier, Druckerschwärze, Sprache, den vielen tausend Buchstaben, die darin stehen; der einfache, allgemeine Inhalt, als das Wesen, ist nicht außerhalb des Buches. So ist das Gesetz nicht außerhalb des Individuums, sondern es macht das wahrhafte Sein des Individuums aus. Das Wesen meines Geistes ist mein wesentliches Sein, meine Substanz selbst (sonst bin ich wesenlos); dies Wesen ist sozusagen der brennbare Stoff, der von dem allgemeinen Wesen als solchem, als gegenständlichem entzündet, erleuchtet werden kann. Und nur insofern dieser Phosphor im Menschen ist, ist das Erfassen, das Anzünden und Erleuchten möglich; nur so ist Gefühl, Ahnung, Wissen von Gott im Menschen. Ohne dies wäre auch der göttliche Geist nicht das an und für sich Allgemeine. Das Wesen ist selbst ein wesentlicher Inhalt, nicht das Inhaltslose, Unbestimmte. Wie das Buch noch anderen Inhalt hat, so ist am individuellen Geiste noch eine große Masse anderer Existenz, die nur zur Erscheinung dieses Wesentlichen gehört 04). Die Religion ist nun der Zustand, von diesem Wesen zu wissen; und das Individuelle, mit äußerlicher Existenz umgeben, muß von diesem Wesen unterschieden werden. Das Wesen ist Geist, nicht ein Abstraktum; "Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen" 05) , und zwar der lebendigen Geister.
Freundlos war der große Weltenmeister, Fühlte Mangel - darum schuf er Geister, Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit! Fand das höchste Wesen schon kein gleiches, Aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches Schäumt ihm die Unendlichkeit.06)
Was nun die unterschiedene Gestalt des Wissens in der Religion und der Philosophie betrifft, so erscheint die Philosophie als zerstörend gegen dies Verhältnis in der Religion gekehrt, daß der allgemeine Geist zunächst als äußerlich, in gegenständlicher Weise des Bewußtseins scheint. Die Andacht, beim Äußerlichen anfangend, verkehrt dann selbst, wie schon erinnert, dies Verhältnis, hebt es auf; so wird die Philosophie durch die Andacht, den Kultus gerechtfertigt, tut nur dasselbe, was sie tun. Der Philosophie ist es nun um das Zweifache zu tun: erstlich, wie der Religion in der Andacht, um den substantiellen Inhalt, die geistige Seele; und zweitens, dieses hervorzubringen vor das Bewußtsein, als Gegenstand, aber in Gestalt des Denkens. Die Philosophie denkt, begreift das, was die Religion als Gegenstand des Bewußtseins vorstellt, es sei als Werk der Phantasie oder als geschichtliche Existenz. Im religiösen Bewußtsein ist die Form des Wissens vom Gegenstande eine solche, die der Vorstellung angehört, mehr oder weniger Sinnliches enthält. Daß Gott seinen Sohn gezeugt - ein aus der natürlichen Lebendigkeit genommenes Verhältnis -, so werden wir uns in der Philosophie nicht ausdrücken. Der Gedanke, das Substantielle solches Verhältnisses wird darum in der Philosophie doch anerkannt. Indem die Philosophie ihren Gegenstand denkt, hat sie den Vorteil, daß, was in der Religion unterschiedenes Moment ist, in der Philosophie in Einheit ist. In der Andacht tritt das Bewußtsein des Versenktseins ins absolute Wesen ein. Beide Stadien des religiösen Bewußtseins sind im philosophischen Denken in einem vereint.
Diese beiden Formen sind es, die verschieden voneinander sind und die darum als entgegengesetzt, als einander widerstreitend erscheinen können. Und es ist natürlich und eine notwendige Erscheinung, daß, sozusagen in ihrem bestimmteren Auftreten, sie nur ihrer Verschiedenheit sich bewußt sind und daß sie daher zuerst feindselig gegeneinander auftreten. In der Erscheinung ist das Erste das Dasein, als bestimmt, Fürsichsein gegen das Andere. Es ist das Spätere, daß das Denken sich selbst konkreter faßt, sich in sich vertieft, und der Geist als solcher ihm zum Bewußtsein kommt. Das Konkrete ist das Allgemeine, das bestimmt ist, also sein Anderes in sich enthält. Früher ist der Geist abstrakt; in dieser Befangenheit weiß er sich verschieden und in Entgegensetzung gegen das Andere. Indem er sich konkreter erfaßt, so ist er nicht mehr bloß in der Bestimmtheit befangen, in diesem dem Unterschiedenen nur sich wissend und besitzend; sondern als konkrete Geistigkeit faßt er ebenso das Substantielle in der Gestalt, die von ihm verschieden erschien, deren Erscheinung er nur gefaßt und sich gegen diese gekehrt hatte, - erkennt in deren Inhalt, in deren Innerem nunmehr sich selbst, faßt jetzt erst sein Gegenteil und läßt ihm Gerechtigkeit widerfahren.
Überhaupt ist dies der Gang dieses Gegensatzes in der Geschichte, daß das Denken zuallererst nur innerhalb der Religion unfrei in einzelnen Äußerungen sich hervortut. Zweitens erstarkt es, fühlt sich als auf sich beruhend, nimmt und benimmt sich feindselig gegen die andere Form und erkennt sich nicht darin. Das Dritte ist, daß es damit endet, in diesem Anderen sich selber anzuerkennen.
Das Philosophieren hat damit anfangen müssen, sein Geschäft ganz für sich zu treiben, das Denken von allem Volksglauben zu isolieren und sich für ein ganz anderes Feld zu nehmen, für ein Feld, dem die Welt der Vorstellung zur Seite liege, so daß sie ganz ruhig nebeneinander bestanden, oder vielmehr, daß es überhaupt noch zu keiner Reflexion auf ihren Gegensatz kam, ebensowenig als der Gedanke, sie versöhnen zu wollen, im Volksglauben das auf[zu]zeigen, als nur in einer anderen äußeren Gestalt als im Begriffe, und so den Volksglauben erklären und rechtfertigen zu wollen - und so die Begriffe des freien Denkens selbst wieder in der Weise der Volksreligion ausdrücken zu können.
So sehen wir die Philosophie zuerst gebunden und innerhalb des Kreises des griechischen Heidentums befangen. Hierauf auf sich sich setzend, tritt sie der Volksreligion entgegen und nimmt eine feindselige Stellung an, bis sie deren Inneres erfaßt und in ihr sich erkennt. So huldigten die älteren griechischen Philosophen meist der Volksreligion, wenigstens waren sie ihr nicht entgegen und reflektierten nicht darauf. Spätere, ja schon Xenophanes, griffen aufs heftigste die Volksvorstellungen an; und so traten viele sogenannte Atheisten auf. Wie die Gebiete der Volksvorstellungen und des abstrakteren Denkens ruhig nebeneinanderstanden, sehen wir noch an den späteren gebildeteren griechischen Philosophen, mit deren spekulativem Treiben die Ausübung des Kultus, das fromme Anrufen der Götter Opferbringen usw. ganz ehrlich - nicht als eine Heuchelei zusammen bestand. Sokrates wurde angeklagt, andere Götter als die Volksreligion zu lehren. Allerdings war sein δαιμόνιον dem Prinzip der griechischen Sittlichkeit und Religion entgegen; aber er hat zugleich ganz ehrlich die Gebräuche seiner Religion mitgemacht, und wir wissen, daß sein leeres Wort noch war, seinen Freunden aufzugeben, daß sie dem Äskulap einen Hahn opfern sollten - ein Verlangen, das mit den durchgeführten Gedanken des Sokrates vom Wesen Gottes, vornehmlich der Moralität, nicht zusammen bestehen kann. Platon eiferte gegen die Dichter und ihre Götter. Erst ganz spät erkannten die Neuplatoniker in der von den Philosophen früher verworfenen Volksmythologie den allgemeinen Inhalt, indem sie dieselbe in Gedankenbedeutung um- und übersetzten und diese Mythologie selbst für ihre Philosopheme als eine Bildersprache symbolisch gebrauchten.
Ebenso in der christlichen Religion sehen wir zuerst das Denken unselbständig sich mit der Gestalt dieser Religion in Verbindung setzen und sich innerhalb derselben bewegen, d. h. sie zugrunde legen und von der absoluten Voraussetzung der christlichen Lehre ausgehen. Später sehen wir den Gegensatz von sogenanntem Glauben und sogenannter Vernunft, nachdem dem Denken die Fittiche erstarkt sind; - der junge Adler fliegt für sich zur Sonne der Wahrheit auf; aber noch als Raubtier gegen die Religion gewendet, bekämpft er sie. Das Späteste ist, daß die Philosophie dem Inhalt der Religion durch den spekulativen Begriff, d. i. vor dem Gedanken selbst, Gerechtigkeit widerfahren lasse; dafür muß der Begriff sich konkret erfaßt haben, zur konkreten Geistigkeit durchgedrungen sein. Dies muß der Standpunkt der Philosophie der jetzigen Zeit sein; sie ist innerhalb des Christentums entstanden und kann keinen anderen Inhalt als der Weltgeist selber haben; wenn er sich in der Philosophie begreift, so begreift er sich auch in jener Gestalt, die vorher ihr feindselig war.
So hat also die Religion einen gemeinschaftlichen Inhalt mit der Philosophie, und nur die Formen sind verschieden; und es handelt sich nur darum, daß die Form des Begriffs so weit vollendet wird, den Inhalt der Religion erfassen zu können. Wahrhaft ist nur dasjenige, was man die Mysterien der Religion genannt hat; sie sind das Spekulative der Religion. Bei den Neuplatonikern heißt μυειν, μυεισ αι (eingeweiht werden), sich mit spekulativen Begriffen beschäftigen. Unter Mysterien versteht man, oberflächlich genommen, das Geheimnisvolle, was so bleibt, nicht bekannt wird. In den Eleusinischen Mysterien war aber nichts Unbekanntes (alle Athenienser waren darin eingeweiht, - Sokrates nicht); und dies will ich in Rücksicht für die Herren Philologen bemerken, da in der Philologie diese Vorstellung auch gilt. Das öffentliche Bekanntmachen vor Fremden war das einzige, was verboten war; verschiedenen wurde es zum Verbrechen gemacht. In der christlichen Religion heißen die Dogmata Mysterien; sie sind das, was man von der Natur Gottes weiß. Dies ist auch nichts Geheimes; in ihr wissen es alle Mitglieder, und dadurch unterscheiden sie sich von denen anderer Religionen. So heißt also Mysterium auch nicht etwas Unbekanntes, denn alle Christen sind im Geheimnis. Die Mysterien sind ihrer Natur nach, als spekulativer Inhalt, geheim für den Verstand, nicht für die Vernunft; sie sind gerade das Vernünftige im Sinne des Spekulativen. Der Verstand faßt das Spekulative nicht, dies Konkrete; der Verstand hält die Unterschiede schlechthin getrennt fest. Ihren Widerspruch enthält das Mysterium auch, es ist aber zugleich auch die Auflösung desselben.
Die Philosophie ist dagegen dem sogenannten Rationalismus in der neueren Theologie entgegen; dieser hat die Vernunft immer im Munde, es ist aber nur trockener Verstand. Von der Vernunft ist nichts darin zu erkennen als das Moment des Selbstdenkens; es ist aber nur abstraktes Denken. Der Rationalismus ist der Philosophie dem Inhalt und der Form nach entgegengesetzt; er hat den Inhalt, hat den Himmel leer gemacht, alles zu endlichen Verhältnissen heruntergesetzt. Und auch der Form nach ist er der Philosophie entgegengesetzt, denn seine Form ist Räsonieren, unfreies Räsonieren, nicht Begreifen. Der Supranaturalismus ist in der Religion dem Rationalismus entgegengesetzt, aber er ist der Philosophie in Ansehung des wahrhaften Inhalts verwandt, aber der Form nach verschieden; denn er ist ganz geistlos, hölzern geworden und nimmt äußerliche Autorität zur Rechtfertigung an. Die Scholastiker waren nicht solche Supranaturalisten; sie haben denkend, begreifend das Dogma der Kirche erkannt. Wenn die Religion sich in der Starrheit ihrer abstrakten Autorität gegen das Denken behauptet, daß "die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden"07) , so ist die Pforte der Vernunft stärker als die Pforte der Hölle, - nicht, die Kirche zu überwinden, aber sich mit ihr zu versöhnen. Die Philosophie als begreifendes Denken dieses Inhalts hat in Rücksicht auf das Vorstellen der Religion den Vorteil, daß sie beides versteht; sie kann die Religion verstehen, sie versteht auch den Rationalismus und den Supranaturalismus, und auch sich; aber nicht ist es auch umgekehrt der Fall. Die Religion, auf dem Standpunkt der Vorstellung stehend, versteht nur das, was mit ihr auf gleichem Standpunkt steht, nicht die Philosophie, den Begriff, die allgemeinen Denkbestimmungen. Oft ist einer Philosophie nicht Unrecht getan, wenn man ihr ihren Gegensatz gegen die Religion vorgeworfen hat; aber auch oft ist ihr Unrecht geschehen, wenn dies vom religiösen Standpunkt aus getan ist.
Für den Geist, wie er an und für sich ist, ist die Gestalt der Religion notwendig. Sie ist die Form des Wahrhaften, wie es für alle Menschen, für jede Weise des Bewußtseins ist. Diese allgemeine Bildung der Menschen ist erstens das sinnliche Bewußtsein und dann zweitens die Einmischung der Form des Allgemeinen in die sinnliche Erscheinung, die Reflexion. Das vorstellende Bewußtsein, das Mythische, Positive, Geschichtliche ist die Form, welche zur Verständlichkeit gehört. Das im Zeugnis des Geistes enthaltene Wesen wird dem Bewußtsein nur Gegenstand, wenn es in verständlicher Form erscheint. Das Bewußtsein muß mit diesen Formen sonst aus dem Leben, der Erfahrung bekannt sein. Die Religion muß also das Bewußtsein des Wahrhaften, des Geistigen, muß die Form der Vernunft haben, oder das Bewußtsein des Wahrhaften muß die Form der Religion haben. Dies ist die allgemeine Rechtfertigung dieser Gestalt; aber das denkende Bewußtsein ist nicht die äußerlich allgemeine Form für alle Menschen.
Wir haben nun den Unterschied von Philosophie und Religion auseinandergelegt; es bleibt aber noch in Beziehung auf das, was wir in der Geschichte der Philosophie abhandeln wollen, einiges zu bemerken übrig, was teilweise aus dem Gesagten folgt.
Zweitens. Wie haben wir uns nun zu diesem Verwandten in der Geschichte der Philosophie zu verhalten? Die Mythologie begegnet uns zuerst; sie scheint in die Geschichte der Philosophie gezogen werden zu können. Die Mythologie ist Produkt der Phantasie. Einerseits also hat hier die Willkür ihren Sitz. 08) Aber die Hauptsache der Mythologie ist Werk der phantasierenden Vernunft, die sich das Wesen zum Gegenstande macht, aber noch kein anderes Organ hat als die sinnliche Vorstellungsweise; so sind die Götter in menschlicher Gestalt. Die Mythologie kann studiert werden für die Kunst usw.; der denkende Geist muß aber den substantiellen Inhalt, den Gedanken, das Philosophem, das implizite darin enthalten ist, aufsuchen, wie man in der Natur Vernunft sucht. Diese Weise, die Mythologie zu behandeln, war die der Neuplatoniker; in neueren Zeiten ist es vornehmlich ein Geschäft meines Freundes Creuzer in der Symbolik. 09) Diese Behandlungsart wird von anderen angefeindet, verdammt: Man müsse nur historisch zu Werke gehen; es sei aber unhistorisch, wenn in eine Mythe ein Philosophem hineingelegt, herauserklärt werde, welches die Alten dabei nicht gedacht haben. Dies ist einerseits ganz richtig, denn es ist dies eine Betrachtungsweise Creuzers und auch der Alexandriner, die sich damit beschäftigt haben. Im bewußten Denken haben die Alten nicht solch Philosophem vor sich gehabt; das behauptet auch niemand. Aber daß solcher Inhalt nicht implizite darin sei, ist absurder Einwand. Als Produkte der Vernunft (aber nicht der denkenden) enthalten die Religionen der Völker, so auch die Mythologien, sie mögen noch so einfach, ja läppisch erscheinen, wie echte Kunstwerke allerdings Gedanken, allgemeine Bestimmungen, das Wahre; der Instinkt der Vernünftigkeit liegt ihnen zugrunde. Damit ist verbunden, daß, indem das Mythologische in die sinnliche Betrachtungsweise übergeht, sich mancherlei zufälliger, äußerlicher Stoff einmischt. Denn die Darstellung des Begriffs auf sinnliche Weise enthält immer eine Unangemessenheit, der Boden der Phantasie kann die Idee nicht auf wahrhafte Weise ausdrücken. Diese sinnliche Gestalt, welche auf eine historische oder natürliche Weise hervorgebracht wird, muß nach vielen Seiten bestimmt werden; und diese äußerliche Bestimmtheit muß mehr oder weniger von der Beschaffenheit sein, der Idee nicht zu entsprechen. Es kann auch sein, daß in dieser Erklärung viele Irrtümer enthalten sind, besonders wenn es auf das Einzelne hinausgeht. Die Menge von Gebräuchen, Handlungen, Geräten, Gewändern, Opfern usf. kann allerdings etwas Analogisches enthalten, eine Beziehung; es ist dies aber sehr entfernt, und viele Zufälligkeiten müssen sich dabei einfinden. Daß aber eine Vernunft darin ist, ist für wesentlich anzuerkennen; und die Mythologie so zu fassen, ist eine notwendige Betrachtungsweise.
Allein aus unserer Geschichte der Philosophie muß die Mythologie ausgeschlossen bleiben. Der Grund davon liegt darin, daß es uns in derselben nicht zu tun ist um Philosopheme überhaupt, um Gedanken, die nur implizite enthalten sind in irgendeiner Darstellung, sondern um Gedanken, die heraus sind, und nur insofern sie heraus sind, sofern solcher Inhalt, den die Religion hat, in der Form des Gedankens zum Bewußtsein gekommen ist. Und dies ist ein ungeheurer Unterschied. Bei dem Kinde ist die Vernunft auch vorhanden, sie ist darin, aber es ist bloße Anlage; in der Philosophie aber ist es uns um die Form zu tun, daß dieser Inhalt in die Form des Gedankens herausgesetzt ist. Die absolute Form der Idee ist nur der Gedanke. Die Philosopheme, die implizite enthalten sind in der Religion, gehen uns nichts an; sie müssen als Gedanken sein.
In vielen Mythologien werden freilich Bilder gegeben und ihre Bedeutung zugleich, oder die Bilder führen die Bedeutung doch nahe mit sich. Die alten Perser verehrten die Sonne oder das Feuer überhaupt als das höchste Wesen. Der Urgrund in der persischen Religion ist Zerwana Akarana, die unbegrenzte Zeit (Ewigkeit). Dies einfache unendliche Wesen habe die zwei Prinzipien: Ormuzd und Ahriman, die Herren des Guten und des Bösen 10) Plutarch sagt 11)) : "Es sei nicht ein Wesen, welches das Ganze halte und regiere, sondern Gutes sei mit Bösem vermischt, überhaupt bringe die Natur nichts Reines und Einfaches hervor; so sei es nicht ein Ausspender, der aus zwei Fässern uns ein Getränk wie ein Wirt austeile und mische. Sondern durch zwei entgegengesetzte, feindselige Prinzipien, deren das eine rechts sich richte, das andere nach der entgegengesetzten Seite treibe, werde, wenn nicht die ganze Welt, wenigstens diese Erde auf ungleiche Weise bewegt. Zoroaster habe dies vorzüglich so vorgestellt, daß das eine Prinzip (Ormuzd) das Licht sei, das andere aber (Ahriman) die Finsternis; ihre Mitte (μέσος δε α μ οιν) sei Mithra, daher ihn die Perser Vermittler (μεσίτης) nennen. " Mithra ist dann auch die Substanz, das allgemeine Wesen, die Sonne zur Totalität erhoben. Er ist nicht Vermittler zwischen Ormuzd und Ahriman, als ob er Frieden stiften sollte, so daß beide bestehen blieben, sondern steht auf der Seite des Ormuzd, streitet mit ihm gegen das Böse. Mithra partizipiert nicht vom Guten und Bösen, ist nicht so ein unselig Mittelding.
Ahriman wird zuweilen der erstgeborene Lichtsohn genannt, aber nur Ormuzd ist im Lichte geblieben. Bei der Schöpfung der sichtbaren Welt setzte Ormuzd auf die Erde in sein unbegreifliches Lichtreich das feste Gewölbe des Himmels, das oberhalb noch allenthalben mit dem ersten Urlichte umgeben ist. Mitten auf der Erde ist der hohe Berg Albordi, der bis ins Urlicht reicht. Ormuzd' Lichtreich befindet sich ungetrübt über dem festen Gewölbe des Himmels und auf dem Berge Albordi; auch so auf der Erde bis ins dritte Zeitalter. Jetzt brach Ahriman, dessen Nachtreich vorher unter der Erde beschränkt war, in Ormuzd' Körperwelt ein und herrschte gemeinschaftlich mit ihm. Nun ist der Raum zwischen Himmel und Erde zur Hälfte in Licht und Nacht geteilt. Wie Ormuzd vorher nur einen Geisterstaat des Lichts, so hatte Ahriman nur einen der Nacht; nun aber, als eingedrungen, setzte er der irdischen Lichtschöpfung eine irdische Nachtschöpfung entgegen. Von nun an stehen zwei Körperwelten einander gegenüber, eine reine und gute, und eine unreine und böse. Dieser Gegensatz geht durch die ganze Natur. Auf Albordi hat Ormuzd den Mithra als Mittler für die Erde geschaffen. Der Zweck der Schöpfung der Körperwelt ist kein anderer, als durch sie die von ihrem Schöpfer abgefallenen Wesen wieder zurückzuführen, sie wieder gut und dadurch das Böse auf ewig verschwinden zu machen. Die Körperwelt ist der Schau- und Kampfplatz zwischen Gut und Böse; aber der Kampf des Lichts und der Finsternis ist nicht ein absolut unaufgelöster Gegensatz an sich, sondern ein vorübergehender; Ormuzd, das Prinzip des Lichts, wird siegen.
Ich bemerke hierüber, daß in philosophischer Rücksicht allein dieser Dualismus merkwürdig ist. Mit ihm ist der Begriff notwendig; dieser ist an ihm unmittelbar das Gegenteil seiner selbst, im Anderen Einheit seiner selbst mit sich. Indem von beiden eigentlich das Lichtprinzip nur das Wesen ist, das Prinzip der Finsternis aber das Nichtige, so fällt das Lichtprinzip mit dem Mithra, der vorhin als das höchste Wesen genannt wurde, selbst zusammen. Betrachten wir die Momente in diesen Vorstellungen, die eine nähere Beziehung auf Philosophie haben, so kann uns daran bloß das Allgemeine dieser Vorstellungen interessant sein: ein einfaches Wesen, dessen absoluter Gegensatz als Gegensatz des Wesens und der Aufhebung desselben erscheint. Der Gegensatz hat den Schein der Zufälligkeit abgelegt. Aber das geistige Prinzip wird von dem physischen nicht geschieden, indem das Gute und das Böse zugleich als Licht und Finsternis bestimmt werden. Wir sehen also hier ein Losreißen des Gedankens von der Wirklichkeit und zugleich nicht ein Losreißen, wie es nur in der Religion stattfindet, so daß das Übersinnliche wieder selbst auf sinnliche, begriffslose, zerstreute Weise vorgestellt ist; sondern die ganze Zerstreuung des Sinnlichen ist in den einfachen Gegensatz zusammengenommen, die Bewegung ebenso einfach vorgestellt. Diese Bestimmungen liegen dem Gedanken viel näher, es sind nicht bloße Bilder; aber auch solche Mythen gehen die Philosophie nichts an. Nicht der Gedanke ist das Erste, sondern das Überwiegende ist die Form der Mythe. In allen Religionen ist Schwanken zwischen Bildlichem und Gedanken; eine solche Vermischung liegt noch außerhalb der Philosophie.
Ebenso unter den Phöniziern Sanchuniathons 12) Kosmogonie: "Die Prinzipien der Dinge seien ein Chaos, in welchem die Elemente unentwickelt untereinanderlagen, und ein Luftgeist. Dieser schwängerte das Chaos und erzeugte mit ihm einen schleimigen Stoff, Mot (ιλύν), der die lebendigen Kräfte und Samen der Tiere in sich enthielt. Durch die Vermischung des Mot mit der Materie des Chaos und die daraus entstandene Gärung trennten sich die Elemente. Die Feuerteile stiegen in die Höhe und bildeten die Gestirne. Durch den Einfluß dieser auf die Luft wurden Wolken erzeugt. Die Erde ward fruchtbar. Aus der durch das Mot in Fäulnis übergegangenen Mischung von Wasser und Erde entstanden die Tiere, unvollkommen und ohne Sinne. Diese erzeugten wieder andere Tiere, vollkommener und mit Sinnen begabt. Die Erschütterung des Donners beim Gewitter war es, welche die ersten Tiere, die in ihren Samenhüllen schliefen, zum Leben erwachen ließ."
Unter den Chaldäern Berosos 13) : "Der ursprüngliche Gott sei Bel, die Göttin Omoroka (das Meer); neben diesen habe es aber noch andere Götter gegeben. Bel schnitt die Omoroka mitten durch, um aus ihren Teilen den Himmel und die Erde zu bilden. Hierauf schnitt er sich selbst den Kopf ab, und aus den Tropfen seines göttlichen Bluts entstand das Menschengeschlecht. Nach Schöpfung des Menschen verscheuchte Bel die Finsternis, schied Himmel und Erde und formte die Welt zu ihrer natürlicheren Gestalt. Da einzelne Gegenden der Erde ihm noch nicht bevölkert genug schienen, so zwang er einen anderen Gott, sich selbst Gewalt anzutun, und aus dem Blute dieses wurden mehr Menschen und andere Tiergattungen erzeugt. Die Menschen lebten anfangs wild und ohne Kultur, bis ein Ungeheuer" (welches Berosos Oannes nennt) "sie zu einem Staate vereinigte, sie Künste und Wissenschaften lehrte, und zur Humanität überhaupt erzog. Das Ungeheuer stieg zu diesem Zweck bei Aufgang der Sonne aus dem Meer, und beim Untergange verbarg es sich wieder unter die Fluten."
Das Mythologische kann auch Prätention machen, eine Art und Weise des Philosophierens zu sein. Es hat Philosophen gegeben, die sich der mythischen Form bedienten, um die Philosopheme der Phantasie näherzubringen. Der Inhalt des Mythus ist der Gedanke. Bei den alten Mythen ist aber der Mythus nicht bloße Hülle; man hat den Gedanken nicht bloß gehabt und ihn nur versteckt. In unserer reflektierenden Weise kann dies geschehen. Die ursprüngliche Poesie geht aber nicht aus von der Trennung der Prosa und Poesie. Haben Philosophen Mythen gebraucht, so ist es meist der Fall, daß sie den Gedanken gehabt und dazu nun das Bild gesucht haben. So hat Platon viel schöne Mythen, auch andere haben mythisch gesprochen. So auch Jacobi, der in der Form der christlichen Religion Philosophie treibt und auf diese Weise die spekulativsten Dinge sagt. Diese Form ist aber nicht die passende für die Philosophie; der Gedanke, der sich selbst zum Gegenstande hat, muß auch in der Form des Gedankens sich Gegenstand sein, er muß sich zu seiner Form auch erhoben haben. Platon wird oft wegen seiner Mythen geschätzt; er soll höheres Genie, als sonst Philosophen vermögen, bewiesen haben. Man meint, die Mythen des Platon seien vortrefflicher als die abstrakte Weise des Ausdrucks; und es ist allerdings eine schöne Darstellung im Platon. Genauer betrachtet ist es zum Teil das Unvermögen, auf die reine Weise des Gedankens sich auszudrücken, zum Teil spricht Platon auch nur in der Einleitung so; wo er aber auf die Hauptsache kommt, drückt er sich anders aus; im Parmenides z. B. sind einfache Gedankenbestimmungen ohne Bildliches. Nach außen mögen jene Mythen freilich dienen; von der spekulativen Höhe geht man herunter, um leichter Vorstellbares zu geben. Der Wert Platons liegt aber nicht in den Mythen. Ist das Denken einmal so erstarkt, um in sich selbst, in seinem Elemente sich sein Dasein zu geben, so ist die Mythe ein überflüssiger Schmuck, wodurch die Philosophie nicht gefördert wird. Oft hält man sich nur an diese Mythen. So ist Aristoteles mißverstanden worden, weil er hier und da Vergleichungen einstreut. Die Vergleichung kann nicht dem Gedanken ganz angemessen sein, enthält immer noch mehr. Die Ungeschicklichkeit, den Gedanken als Gedanken vorzustellen, greift zu den Hilfsmitteln, in sinnlicher Form sich auszudrücken. Versteckt soll der Gedanke durch den Mythus auch nicht werden; die Absicht des Mythischen ist vielmehr, den Gedanken auszudrücken, zu enthüllen. Dieser Ausdruck, das Symbol ist freilich mangelhaft; wer den Gedanken in Symbole versteckt, hat den Gedanken nicht. Der Gedanke ist das sich Offenbarende; das Mythische ist so nicht adäquates Medium für den Gedanken. Aristoteles sagt 14): "Von denen, welche mythisch philosophieren, ist es nicht der Mühe wert, ernstlich zu handeln"; es ist dies nicht die Form, in welcher der Gedanke sich vortragen läßt, - nur eine untergeordnete Weise.
Es schließt sich hieran eine verwandte Weise an, allgemeinen Inhalt darzustellen: in Zahlen, Linien, geometrischen Figuren. Sie sind bildlich, aber nicht konkret bildlich wie die Mythen. So kann man sagen, die Ewigkeit sei ein Kreis, - die Schlange, die sich in den Schwanz beißt; es ist ein Bild. Der Geist bedarf aber solches Symbols nicht; er hat die Sprache. Es sind Völker, die sich an diese Darstellungsweise gehalten; aber mit solchen Formen geht es nicht weit. Die abstraktesten Bestimmungen kann man in diesem Elemente ausdrücken, aber weiter gibt es Verwirrung. Wie eben die Freimaurer Symbole haben, die für tiefe Weisheit gelten - tief, wie man einen Brunnen tief nennt, dessen Boden man nicht sehen kann -, so kommt leicht den Menschen das tief vor, was verborgen ist; dahinter stecke Tiefes. Wenn es versteckt ist, so ist auch der Fall möglich, daß nichts dahinter ist - so bei den Freimaurern das ganz Verborgene (d. h. vielen auch innerhalb und außerhalb) -, daß nichts dahinter ist, sie weder besondere Weisheit noch Wissenschaft haben. Der Gedanke ist vielmehr eben dies, sich zu manifestieren, - dies seine Natur, dies er selbst: klar zu sein. Manifestieren ist nicht gleichsam ein Zustand, der sein und auch nicht sein kann, so daß der Gedanke noch Gedanke bliebe, wenn er nicht manifestiert wäre; sondern Manifestieren ist selbst sein Sein.
Zahlen, wie bei den Pythagoreern bemerkt werden wird, sind unpassende Medien, den Gedanken zu fassen: so die μονάς, δυάς, τϱιάς beim Pythagoras. Μονάς ist Einheit, δυάς Unterschied, τϱιάς soll die Einheit der Einheit und Zweiheit sein; 3 = 1 + 2, aber das ist schon schlechte Verbindung. Die beiden Ersten kommen durch Addition zusammen; das ist die schlechteste Form der Einheit. Die Drei erscheint auf tiefere Weise in der Religion als Dreieinigkeit, in der Philosophie als Begriff. Zählen ist aber schlechte Manier.
Man spricht auch von der Philosophie der Chinesen, des Fohi; bei ihnen findet man es auch, daß sie durch Zahlen die Gedanken darstellen. Doch haben die Chinesen ihre Symbole auch erklärt, - also [ist] die Bestimmung heraus. Die allgemeinen einfachen Abstraktionen haben allen Völkern, die zu einiger Bildung gekommen, vorgeschwebt.
Es ist noch zweitens zu bemerken, daß in der Religion als solcher und weiter auch in der Poesie Gedanken enthalten sind. Die Religion, nicht bloß in Weise der Kunst dargestellt, enthält wirkliche Gedanken, Philosopheme. In der Poesie (es ist dies die Kunst, die die Sprache zum Elemente hat) wird auch dazu übergegangen, den Gedanken auszusprechen, wie wir in Dichtern auch tiefe, allgemeine Gedanken finden. Allgemeine Gedanken über das Wesentliche finden sich überall. In der indischen Religion besonders werden ausdrücklich allgemeine Gedanken ausgesprochen. Man sagt daher, solche Völker haben auch eigentliche Philosophie gehabt. Wir treffen in indischen Büchern allerdings interessante, allgemeine Gedanken; diese Gedanken schränken sich auf das Abstrakteste ein: auf die Vorstellung von Entstehen und Untergehen, von einem Kreislauf darin. So ist das Bild des Phönix bekannt; es ist aus dem Morgenlande überhaupt gekommen. So finden wir bei den Alten Gedanken über Leben und Sterben, Übergang des Seins ins Vergehen: aus Leben komme Tod, aus Tod Leben; im Sein, Positiven sei selbst schon das Negative enthalten. Das Negative soll ebenso selbst schon in sich das Positive enthalten; alle Veränderung, Prozeß der Lebendigkeit bestehe darin. Solche Gedanken kommen aber nur gelegentlich vor, für eigentliche Philosopheme ist dies nicht zu nehmen. Sondern Philosophie ist nur dann vorhanden, wenn der Gedanke als solcher zur Grundlage, zum Absoluten, zur Wurzel alles übrigen gemacht wird; das ist in solchen Darstellungen nicht der Fall. :
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Die Philosophie hat nicht Gedanken über etwas, einen Gegenstand, der schon vorher als Substrat zugrunde liegt. Der Inhalt ist selbst schon Gedanke, der allgemeine Gedanke, der schlechthin das Erste sein soll; das Absolute in der Philosophie muß als Gedanke sein. In der griechischen Religion finden wir ewige Notwendigkeit; das ist absolutes, schlechthin allgemeines Verhältnis, Gedankenbestimmung. Dieser Gedanke hat aber neben ihm noch Subjekte, er drückt nur ein Verhältnis aus; die Notwendigkeit gilt nicht als das wahrhafte, allumfassende Sein selbst. Also auch diese Weise haben wir nicht zu betrachten. Wir könnten so von einer Philosophie des Euripides, Schillers, Goethes sprechen. Aber alle solche Gedanken - allgemeine Vorstellungsweisen über das Wahrhafte, die Bestimmung des Menschen, das Moralische usf. - sind teils nur beiläufig aufgestellt, teils hat dies nicht die eigentümliche Form des Gedankens gewonnen und so, daß dies, was so ausgesprochen ist, das Letzte sei, die absolute Grundlage ausmache. Bei den Indern läuft alles durcheinander, was sich auf den Gedanken bezieht.
Drittens geht uns auch die Philosophie nichts an, die wir innerhalb einer Religion finden. Auch bei den Kirchenvätern und Scholastikern, nicht nur in der indischen Religion, finden wir tiefe spekulative Gedanken über die Natur Gottes selbst. In der Geschichte der Dogmatik ist es von wesentlichem Interesse, solche Gedanken kennenzulernen, aber in die Geschichte der Philosophie gehören sie nicht. Von den Scholastikern muß indessen mehr Notiz genommen werden als von den Kirchenvätern. Diese waren zwar große Philosophen, denen die Ausbildung des Christentums viel zu verdanken hat. Ihre spekulativen Gedanken gehören aber einesteils anderen Philosophien an, die insofern für sich zu betrachten sind, so platonische Gedanken; andernteils kommen die spekulativen Gedanken vom spekulativen Inhalt der Religion selbst her, der als Lehre der Kirche für sich zugrunde liegt und zunächst dem Glauben angehört. Diese Gedanken beruhen also auf einer Voraussetzung. Sie sind nicht sowohl eigentliche Philosophie, d. i. Gedanke, der auf sich selbst steht, sondern sind zum Behufe dieser als fest schon vorausgesetzten Vorstellung tätig - sei es zur Widerlegung anderer Vorstellungen und Philosopheme, oder auch, um gegen sie die eigene religiöse Lehre philosophisch zu verteidigen -, so daß der Gedanke sich nicht als das Letzte, die absolute Spitze des Inhalts, als der innerlich sich bestimmende Gedanke erkennt und darstellt. Der Inhalt gilt schon für sich als wahr, ruht nicht auf dem Gedanken. Der Verstand faßt nicht die Wahrheiten der Religion; wenn er sich Vernunft nennt (als Aufklärung) und sich als Herrn und Meister erkannte, so irrte er. Der Inhalt der christlichen Religion kann nur auf spekulative Weise gefaßt werden. Wenn die Kirchenväter also innerhalb der Lehre der Kirche gedacht haben, so sind die Gedanken sehr spekulativ; aber der Inhalt ist nicht durch das Denken als solches gerechtfertigt. Die letzte Rechtfertigung dieses Inhalts war die Lehre der Kirche. Hier findet sich die Philosophie innerhalb eines festen Lehrbegriffs; es ist nicht das Denken, was frei von sich ausgeht. So auch bei den Scholastikern konstruiert sich der Gedanke nicht aus sich, er bezieht sich auf Voraussetzungen. Bei den Scholastikern beruhte das Denken schon mehr auf sich, aber nicht im Gegensatz zur Lehre der Kirche. Beides sollte konkordieren und konkordierte auch; aber der Gedanke sollte aus sich beweisen, was die Kirche schon bewahrheitet hatte.
Wir scheiden so ab, was verwandt mit der Philosophie ist. Dann haben wir zugleich auf die Momente in diesem Verwandten aufmerksam gemacht, welche zum Begriff der Philosophie gehören, aber zum Teil getrennt. Und so können wir daraus den Begriff der Philosophie erkennen.
01) Matth. 6, 26-30
02) Herodot II, 53
03) vgl. Matth. 28, 20; 18, 20; Joh. 16, 13
04) Hoffmeister: "Erscheinung, nicht zum Wesentlichen gehört"
05) Matth. 22, 32
06) Schiller, "Die Freundschaft"
07) Matth. 16, 18
08) W: "Sie ist Produkt der Phantasie, aber nicht der Willkür, diese hat auch ihren Sitz hier" Verändert nach Hoffmeister.
09) Friedrich Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, 4 Bde., 1810/12
10) M: Diogenes Laertios I, § 8
11) M: De Iside et Osiride (T. II, p. 369, ed. Xyland.)
12) *Sanchuniathonis Fragmenta, ed. Rich. Cumberland, London 1720; deutsch von J. P. Kassel. Magdeburg 1755, (S. 1-4). Diese Fragmente, welche sich bei Eusebios (Praeparatio evangelica I, 10) finden, sind aus eines Grammatikers Philon aus Biblos Übersetzung des Sanchuniathon ins Griechische aus dem Phönizischen. Philon lebte zu Vespasians Zeiten und schreibt dem Sanchuniathon ein hohes Alter zu.
13) *Berosi Chaldaica, Fragmente bei Josephus, Syncellus und Eusebios; Scaligers Sammlung hiervon im Anhang zu De emendatione temporum, vollständig bei Fabricius Bibl. gr., T. XIV, p. 175-211 (p. 185-190). Berosos lebte zu Alexanders Zeit, soll ein Priester des Bel gewesen sein und aus den Tempelarchiven zu Babylon geschöpft haben.
14) M: Metaphysik III, 4
HEGEL: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie b. Verhältnis der Philosophie zur Religion
“... so sehen wir doch noch heutigentags den stärksten Gegensatz der Philosophie und Religion als Schibboleth der Zeit gesetzt.
Alle Prinzipien des religiösen Bewußtseins, die sich gegenwärtig ausgebildet haben - mögen ihre Formen sich gegeneinander noch sosehr unterscheiden -, kommen doch darin überein, daß sie die Philosophie befeinden, von der Beschäftigung mit der Religion auf jeden Fall abzuhalten suchen. ... ... Die Kirche oder die Theologen mögen diesen Sukkurs verschmähen oder es übelnehmen, wenn ihre Lehre vernünftig gemacht wird; sie können sogar mit stolzer Ironie die Bemühungen der Philosophie, wenn sie nicht feindlich gegen die Religion gerichtet sind, sondern vielmehr deren Wahrheit ergründen wollen, zurückweisen und die "gemachte" Wahrheit bespötteln. Aber dies Verschmähen hilft nichts mehr und ist Eitelkeit, wenn einmal das Bedürfnis der Erkenntnis und der Zwiespalt derselben mit der Religion erwacht ist. Da hat die Einsicht ihre Rechte, die auf keine Weise mehr verweigert werden können, und ist der Triumph der Erkenntnis die Versöhnung des Gegensatzes.” >>>
Verhältnis der Philosophie zu anderen Gebieten >
1. Geschichtliche Seite dieses Zusammenhangs > a. Äußere, geschichtliche Bedingung zum Philosophieren / > b. Geschichtlicher Eintritt eines geistigen Bedürfnisses zum Philosophieren / > c. Die Philosophie als der Gedanke ihrer Zeit / > 2. Abscheidung der Philosophie von den mit ihr verwandten Gebieten > a. Verhältnis der Philosophie zur wissenschaftlichen Bildung / > b. Verhältnis der Philosophie zur Religion / > c. Abscheidung der Philosophie von der Populärphilosophie) / > 3. Anfang der Philosophie und ihrer Geschichte > a. Die Freiheit des Denkens als Bedingung des Anfangs / > b. Abscheiden des Orients und seiner Philosophie / > c. Beginn der Philosophie in Griechenland >
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